Dies ist der zweite Teil einer vierteiligen Blog-Reihe, die die Arbeit der EFF in Europa dokumentiert. Weitere Beiträge können Sie hier lesen:
- Die Rettung des Internets in Europa: So arbeitet die EFF in Europa
- Die Rettung des Internets in Europa: Schutz der Privatsphäre und Kampf gegen Überwachung
- Die Rettung des Internets in Europa: Förderung von Auswahlmöglichkeiten, Wettbewerb und des Rechts auf Innovation
Die EFF hat es sich zur Aufgabe gemacht, dafür zu sorgen, dass Technologie Freiheit, Gerechtigkeit und Innovation für alle Menschen auf der Welt unterstützt. Auch wenn uns unsere Arbeit in die entlegensten Winkel der Welt geführt hat, haben wir uns in den letzten Jahren verstärkt in Europa engagiert. Wir haben in der Region nicht nur ein politisches Team mit exzellentem Know-how aufgebaut, sondern auch unsere Erfahrung auf dem Gebiet der Interessenvertretung und der Technologie in den europäischen Kampf für digitale Rechte eingebracht.
In dieser Blog-Beitragsreihe stellen wir Ihnen die verschiedenen Akteure vor, die an diesem Kampf beteiligt sind, und erläutern, wie wir in Europa arbeiten und welche Auswirkungen die Geschehnisse dort auf die digitalen Rechte in der ganzen Welt haben können.
Ansatz der EFF zur freien Meinungsäußerung
Mit der steigenden Zahl von Internetzugängen und digitalen Diensten schien eine neue Ära der freien Meinungsäußerung anzubrechen, in der man – ohne Gatekeeper nutzen zu müssen–, Informationen teilen und abrufen, seine Meinung äußern und ein Publikum finden konnte, und in der jeder kreative Werke erstellen, nach Belieben verändern und teilen konnte.
Alle Menschen sollten das Recht haben, sich frei zu äußern und Ideen auszutauschen. Mehrere europäische Länder haben im vergangenen Jahrhundert totalitäre Regime und umfassende Zensur erlebt, weshalb viele Europäer und Europäerinnen immer noch besonderen Wert auf den Schutz der Privatsphäre und auf freie Meinungsäußerung legen. Diese Werte sind in der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert – wesentliche rechtliche Rahmenwerke zum Schutz der Grundrechte.
Da heutzutage so viele unserer Gespräche über Online-Plattformen abgewickelt werden, wird erwartet, dass auch diese die Grundrechte achten. Durch ihre Nutzungsbedingungen, Gemeinschaftsrichtlinien oder Hausregeln können Plattformen einseitig festlegen, welche Äußerungen auf ihren Diensten zulässig sind. Die Durchsetzung dieser Regeln kann willkürlich, intransparent und selektiv sein und dazu führen, dass umstrittene Ideen und Stimmen von Minderheiten unterdrückt werden.
Aus diesem Grund kämpft die EFF sowohl gegen die Bedrohung der freien Meinungsäußerung durch Regierungen als auch dafür Tech-Unternehmen dafür verantwortlich zu machen, dass ihre Praktiken zur Moderation von Inhalten auf soliden Menschenrechtsgrundsätzen beruhen. Das bedeutet, dass klare Regeln und Standards für interne Prozesse festgelegt werden müssen, z. B. für Benachrichtigungen und Erklärungen an die Nutzer, wenn die Nutzungsbedingungen durchgesetzt oder geändert werden. In der Europäischen Union haben wir uns jahrzehntelang bemüht sicherzustellen, dass Gesetze über Online-Plattformen die Grundrechte achten, wir haben uns gegen Zensur eingesetzt und uns für Verfechter von Menschenrechten stark gemacht.
Was ist das Gesetz über digitale Dienste und warum reden wir ständig darüber?
In den letzten Jahren haben wir uns besonders intensiv mit Menschenrechtsfragen im Zusammenhang mit dem Entwurf und der Umsetzung des Gesetzes über digitale Dienste (GdD) beschäftigt, dem neuen Gesetz, das die Regeln für Online-Dienste in der Europäischen Union festlegt. Das GdD deckt die meisten Online-Dienste ab, darunter Online-Marktplätze wie Amazon, Suchmaschinen wie Google, soziale Netzwerke wie Meta und App-Stores. Allerdings gelten nicht alle Regeln für alle Dienste – stattdessen verfolgt das GdD einen risikobasierten Ansatz, der den größten Diensten, die die größten Auswirkungen auf die Nutzer haben, die meisten Verpflichtungen auferlegt. Alle Dienstanbieter müssen sicherstellen, dass in ihren Nutzungsbedingungen die Grundrechte geachtet werden, dass die Nutzer leicht mit ihnen in Kontakt treten können und dass sie über ihre Aktivitäten zur Inhaltsmoderation berichten. Für Online-Plattformen gelten zusätzliche Regeln: Sie müssen den Nutzern ausführliche Informationen über Entscheidungen zur Inhaltsmoderation und das Recht auf Einspruch sowie zusätzliche Transparenzpflichten geben. Außerdem müssen sie eine gewisse Grundtransparenz hinsichtlich der Funktionsweise ihrer Empfehlungssysteme gewährleisten und dürfen minderjährige Nutzer nicht mit personalisierter Werbung ansprechen. Die strengsten Verpflichtungen gelten für die größten Online-Plattformen und Suchmaschinen, die mehr als 45 Millionen Nutzer in der EU haben. Diese Unternehmen, zu denen X, TikTok, Amazon, Google Search und Play, YouTube und mehrere Porno-Plattformen gehören, müssen systemische Risiken im Zusammenhang mit der Gestaltung, Funktionsweise und Nutzung ihrer Dienste proaktiv bewerten und reduzieren. Dazu gehören Risiken in Bezug auf die Ausübung der Grundrechte, Wahlen, die öffentliche Sicherheit, den zivilen Diskurs, den Schutz von Minderjährigen und die öffentliche Gesundheit. Dieser neuartige Ansatz mag seine Berechtigung haben, gibt aber auch Anlass zur Sorge: Systemische Risiken sind kaum definiert und könnten zu Einschränkungen der rechtmäßigen Meinungsäußerung führen, und Maßnahmen zur Bewältigung dieser Risiken, wie z. B. die Altersüberprüfung, haben selbst negative Folgen, wie die Beeinträchtigung der Privatsphäre der Nutzer und des Zugangs zu Informationen.
Das GdD ist ein wichtiges Gesetz, um die Rechte der Nutzer zu stärken und Unternehmen zur Verantwortung zu ziehen, aber es birgt auch erhebliche Risiken. Wir sind besorgt über die Anforderung des GdD, dass Dienstanbieter proaktiv Nutzerdaten an Strafverfolgungsbehörden weitergeben müssen, und über die Befugnisse, die sie Behörden bei der Anforderung solcher Daten einräumen. Wir warnen vor dem Missbrauch des Notfallmechanismus des GdD und der Ausweitung des GdD-Ansatzes zur Steuerung systemischer Risiken als Allheilmittel, um gegen unliebsame, aber legale Meinungsäußerungen vorzugehen. Ebenso könnte die Ernennung von vertrauenswürdigen Meldern dazu führen, dass Plattformen unter Druck gesetzt werden, zu viele Inhalte zu entfernen, zumal das GdD Behörden nicht daran hindert, selbst vertrauenswürdige Melder zu werden.
Die EFF setzt sich dafür ein, dass die Gesetzgeber einen maßvollen Ansatz wählen, der die Freiheit der Meinungsäußerung nicht untergräbt. Auch wenn es uns gelungen ist, einige der problematischsten Ideen zu verhindern, bleiben Bedenken bestehen, insbesondere im Hinblick auf die Politisierung der Durchsetzung des GdD und eine möglicherweise übermäßig enge Auslegung. Deshalb werden wir die Durchsetzung des GdD genau im Auge behalten und alle uns zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, um gegen eine übermäßig enge Auslegung vorzugehen und die Nutzerrechte zu verteidigen.
Europäische Gesetze betreffen oft Nutzer auf der ganzen Welt. Um außereuropäischen Nutzern in Brüssel eine Stimme zu geben, haben wir die DSA Human Rights Alliance (GdD-Allianz für Menschenrechte) gefördert. Die DSA Human Rights Alliance wurde aus der Überzeugung heraus gegründet, dass die GdD bei der Plattform-Regulierung einen menschenrechtsbasierten Ansatz verfolgen und ihre globalen Auswirkungen berücksichtigen muss. Wir werden die Allianz weiter ausbauen und erweitern, um sicherzustellen, dass die Durchsetzung des GdD nicht zu unbeabsichtigten negativen Folgen führt und die Rechte der Nutzer überall auf der Welt respektiert werden.
Gesetzgebung zur Regulierung von Plattformen im Vereinigten Königreich
Parallel zum Gesetz über digitale Dienste hat das Vereinigte Königreich seine eigene Plattformregulierung verabschiedet, den Online Safety Act (OSA). Mit dem Ziel, das Vereinigte Königreich „zum sichersten Ort der Welt zu machen, an dem man online sein kann,“ wird das OSA zu einem stärker zensierten, abgeschotteten Internet für britische Nutzer führen. Das Gesetz ermächtigt die britische Regierung, nicht nur die Privatsphäre und die Sicherheit der Einwohner des Vereinigten Königreichs, sondern der Internetnutzer weltweit zu untergraben.
Von Online-Plattformen wird erwartet, dass sie Inhalte entfernen, die die britische Regierung als ungeeignet für Kinder ansieht. Wenn sie das nicht tun, drohen ihnen hohe Strafen. Das Problem ist, dass im Vereinigten Königreich, wie auch in den USA und anderswo, die Meinungen darüber, welche Art von Inhalten für Kinder schädlich ist, sehr unterschiedlich sind. Wenn man diese Entscheidung in die Hände staatlicher Regulierungsbehörden legt, wird dies zu politisch motivierten Zensurentscheidungen führen.
Das OSA wird auch zu problematischen Altersüberprüfungssystemen führen. Man sollte keinen Ausweis vorzeigen müssen, um online gehen zu können. Altersbeschränkungssysteme, die Kinder fernhalten sollen, führen unweigerlich dazu, dass Erwachsene ihr Recht auf private und anonyme Meinungsäußerung, die manchmal notwendig ist, verlieren.
Jetzt, wo Ofcom, die britische Medienaufsichtsbehörde, damit beginnt, ihre Verordnungen und Leitlinien zu veröffentlichen, beobachten wir, wie die Regulierungsbehörde diese menschenrechtlichen Fallstricke zu vermeiden versucht, und werden weiterhin etwaige unzureichende Bemühungen zum Schutz der Meinungsäußerung und der Privatsphäre im Internet bekämpfen.
Medienfreiheit und Vielfalt für alle
Ein weiteres Thema, für das wir uns eingesetzt haben, ist die Medienfreiheit. Ähnlich wie beim GdD hat die EU vor kurzem auch ihre Vorschriften für Mediendienste überarbeitet: das Europäische Medienfreiheitsgesetz (EMFA). In diesem Zusammenhang haben wir uns gegen Vorschriften gewehrt, die Online-Plattformen wie YouTube, X oder Instagram gezwungen hätten, beliebige Inhalte von Medienunternehmen zu veröffentlichen. Die erzwungene Bereitstellung von Inhalten auf Plattformen zur Stärkung des Medienpluralismus hat schwerwiegende Folgen: Millionen von EU-Nutzern können nicht mehr darauf vertrauen, dass Online-Plattformen gegen Inhalte vorgehen, die gegen die Gemeinschaftsstandards verstoßen. Außerdem ist es nicht einfach, zwischen seriösen Medienanbietern und solchen zu unterscheiden, die dafür bekannt sind, Desinformationen zu verbreiten, wie z. B. in der EU aktive regierungsnahe russische Webseiten. Wenn man den Plattformen die Möglichkeit nimmt, solche Inhalte einzuschränken oder zu entfernen, könnte das den öffentlichen Diskurs eher untergraben als fördern.
Die endgültige Fassung des EMFA enthält zwar eine Reihe wichtiger Schutzmaßnahmen, ist aber für die Nutzer nach wie vor ein schlechter Deal: Wir werden die Umsetzung genau verfolgen, um sicherzustellen, dass die neuen Regeln tatsächlich die Freiheit und Vielfalt der Medien fördern, das Vertrauen in die Medien stärken und den Einsatz von Spionageprogrammen gegen Journalisten einschränken.
Zensur aufdecken und diejenigen verteidigen, die uns verteidigen
Die Überwachung von Vorschriften ist nur ein kleiner Teil unserer Arbeit. In den vergangenen Jahren haben wir immer wieder aufgedeckt, wie die breit angelegten Praktiken der Unternehmen zur Moderation von Inhalten Nutzer im Namen der Terrorismusbekämpfung zensieren und die Stimmen von LGBTQ-Personen, Sex-Arbeiterinnen und unterrepräsentierten Gruppen einschränken.
Auch im Jahr 2025 werden wir diese Einschränkungen der Meinungsfreiheit anprangern und der Zensur palästinensischer Stimmen, die weit verbreitet ist, besondere Aufmerksamkeit widmen. Wir werden weiterhin mit unseren Verbündeten in der Digital Intimacy Coalition zusammenarbeiten, um darüber zu informieren, dass restriktive Sprachregelungen Sexarbeiterinnen oft unverhältnismäßig stark betreffen. Wir werden auch weiterhin die Auswirkungen des zunehmenden und sich verändernden Einsatzes von künstlicher Intelligenz bei der Moderation von Inhalten genau analysieren.
Und schließlich besteht ein wesentlicher Teil unserer Arbeit in Europa darin, für diejenigen einzutreten, die das nicht selbst können: Menschenrechtsverteidiger, die mit Haftstrafen und Zensur rechnen müssen.
Es gibt noch viel zu tun. Wir haben den europäischen Gesetzgebern umfassende politische Empfehlungen vorgelegt und werden weiterhin für ein Internet kämpfen, in dem sich jeder Gehör verschaffen kann. In den nächsten Beiträgen dieser Reihe erfahren Sie mehr darüber, was wir in Europa tun, um sicherzustellen, dass die digitalen Märkte fair sind, den Nutzern Auswahlmöglichkeiten bieten und die Grundrechte achte